Fromm, frommer, Kolonist

Aus der Schriftenreihe zur politischen Bildung:

Das Alltagsleben der Kolonisten war von einer tiefen Frömmigkeit und religiösen Überzeugung geprägt. Die Pastoren und Padres genossen großes Vertrauen und Autorität im Siedlermilieu. Viele Einwanderer gingen aus religiösen Gründen nach Russland, was später nicht selten zu Gemeindespaltungen, zur Bildung von Stunden- und Brüderkreisen (auch unter den russischen und ukrainischen Bauern) und schließlich zur Ausbreitung des Baptismus und Adventismus führte. Das Schulwesen der deutschen Siedler war von Anfang an stark konfessionell geprägt; die Dorfschule bereitete die Jugendlichen in erster Linie auf die Konfirmation beziehungsweise Firmung vor. 

Nachdem die Familien ein festes Dach über dem Kopf hatten, war meist das erste was danach gebaut wurde – ein Bethaus. Zusammen mit einer Schule. War das Dorf zu klein, traf man sich in “Stubenversammlungen”. In die “große Kirche” in der Stadt ging es eigentlich nur zu Hochzeiten.

Aus dem Buch von Lück: Deutsche Siedlungen im Lubliner Raum, Seite 272 “Kirchenzucht und Frömmigkeit. Man kann die Enge der damaligen Zeit förmlich spüren.

Der Grundzug im geistlichen Leben der Kolonisten ist die Frömmigkeit. Sie offenbart sich in der Wertschätzung des Wortes Gottes und bewährt sich in Freud und Leid. Die Beteiligung an gottesdienstlichen Feiern ist stark.

Wenn man diese Zeilen liest, sollte es einen nicht wundern, dass viele Russlanddeutsche, die in den letzten Jahrzehnten zu uns kamen, eine für uns überzogene Frömmigkeit leben. Mit Kopftuch und Rock (nein, nicht die Musik). Es waren Nachfahren der Kolonisten, nur durch die politischen Wirren eben nicht nach Deutschland zurückgekehrt, sondern in Russland, Kasachstan, Ukraine, usw. geblieben. Aber dort oft unter sich und isoliert.

Die Frömmigkeit brachte aber auch schnell äußerst seltsame Glaubensformen hervor. Ein Beispiel, die Zempelianer.

... In ihren Reihen gibt es leider viele Mitläufer, die sich durch geistlichen Hochmut, Verknöcherung, durch überflüssiges Getue, Geiz und andere Untugenden auszeichnen. Auch neigen viele zu maßloser Übertreibung. Nicht mit dienender Liebe, sondern mit Donnerworten zieht man Außenstehende in die Gemeinschaft herein. Weil unser Herrgott uns bei der Schöpfung nicht gleich einen Schornstein in den Kopf eingebaut hat, ist das Rauchen eine Todsünde. ... Jedes unschuldige "weltliche" Kinderlied, oder gar ein lustiges Schelmenstückel, erscheint ihnen als Teufelswerk. ... Dabei gebärden sie sich manchmal so, daß man sie selbst für Kinder halten könnte.

Aber auch andere seltsame Blüten gab es.

In der Kamienier und Cycower Gemeinde waren noch die Thiedebrüder oder Schreier vertreten. Durch den Bauern Thiede vor 1914 zu einer Gemeinschaft gesammelt, fielen sie durch Schreien und Weinen in ihren Stunden auf. Vor dem ersten Weltkriege kamen „Schreier" auch in den Lodzer Gemeinden vor. 

Also hat das Verlangen nach Frömmigkeit die ganze Bandbreite abgedeckt. Von der evangelischen Kirche bis hin zu völlig abwegigen Gruppierungen.

Klar waren die Kolonisten ohne Bildung und in großer Armut empfänglich für allerlei wirres Zeugs. So sehr diese Gruppierungen aber auch auffallen, sie waren doch immer Randgruppen, die auch relativ schnell wieder verschwanden.

Und wie sah es bei unseren Vorfahren aus?

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